9 09, 2011

Unterhaltspflicht: Wenn Opfer zu Tätern gemacht werden

2013-10-10T14:56:59+02:009. September 2011|

Die Geschichte ist eigentlich nicht neu. Der Vater eines Kindes vernachlässigt seine Unterhaltspflicht, die Mutter muss das Geld gerichtlich einfordern. In diesem Fall ist aber etwas doch neu. Die Böse ist die Mutter, das Opfer der nicht zahlende Vater. Unglaublich aber wahr, eine Schweizer Boulevardzeitung schafft es tatsächlich in diesem Fall die Mutter zur Täterin zu machen.

Vor kurzem publizierte eine Schweizer Boulevardzeitung einen Artikel, wonach Nationalrätin Chantal Galladé ihren Ex-Partner und Vater ihres Kindes gerichtlich zur Erfüllung seiner Unterhaltspflicht (in Form von Nachzahlungen für die Teuerung) für die gemeinsame Tochter zwingen will. Dabei geht es laut der Zeitung um einen Betrag von 50.- für welchen die böse, gut verdienende Nationalrätin den armen Vater ihres Kindes in die Mühlen der Justiz zerrt. Ausserdem habe sie die Frechheit, dies mit Hilfe ihres Lebenspartners, Nationalratskollegen und Strafrechtsprofessors Daniel Jositsch, zu tun.

Die Kommentarspalten sind voller empörten Meinungen, die Chantal Galladé mit Häme überschütteten und sogar die Zeitungen berichten von wütenden Leserreaktionen, die sich gegen Chantal Galladé richten. Einem SVP Nationalrat platzte ab dieser Ungeheuerlichkeit derart der Kragen, dass er eine Motion einreichen will, welche verhindern soll, dass man Klagen gegen nicht zahlende Elternteile einreichen kann, wenn es sich um Nachzahlungen handelt.

Willkommen in der Bananenrepublik Schweiz, in der Mütter, die für die Rechte ihrer Kinder klagen die Bösen und die nicht zahlenden, gut verdienenden Väter die Opfer sind.

Wie heuchlerisch die Empörungen doch sind. Im vorliegenden Fall handelt es sich um eine Teuerung, die in Unterhaltsverträgen vorgesehen ist. Dies ist darum logisch, weil der Wert des Geldes zwischen Geburt und Erwachsenwerden eines Kindes enorm schwanken kann. Im vorliegenden Fall geht es um einen monatlichen Betrag von 50.-, der rückwirkend 3’200.- ausmacht und bis zum 20-25 Altersjahr der Tochter 20’000.- ausmachen kann. Mich würde die Reaktionen der sich empörenden Personen interessieren, wenn ihren Kindern ein solcher Betrag zustehen würde. Ebenfalls würde mich die Reaktion dieser Leute interessieren, wenn ihnen eine solche, ihnen vertraglich zustehende Teuerung, zum Beispiel bei ihrem Lohn nicht ausbezahlt würde.

Wichtiger als das Finanzielle ist aber das Prinzip. Es gibt viele allein erziehende Mütter, die ihren Kindern zustehende Unterhaltszahlungen nicht erhalten. Aus diesem Grund gibt es den Strafbestand „Vernachlässigen der Unterhaltspflicht“ gemäss Art. 217 StGB schliesslich. Natürlich gibt es Väter, die selber am Existenzminimum leben und darauf muss entsprechend Rücksicht genommen werden (dazu weiter unten). In diesem Fall geht es aber um einen Rektor einer Berufsfachschule, der laut kantonalen Richtlinien sehr gut verdient (mehr als Nationalräte). Es kann, darf und soll nicht sein, dass Väter mit solchen Löhnen ihren Unterhaltspflichten nicht nachkommen und die, für sie tatsächlich läppischen 50.- pro Monat, nicht zahlen. Dieser Betrag ist für eine solch gut verdienende Person ein Klacks. Für ein Kind kann dies aber einen Unterschied von 20’000.- machen. Die Empörung über den Betrag hat sich also nicht gegen die klagende Mutter, sondern gegen den nicht zahlenden Vater zu richten.

Dass ein SVP Nationalrat nun Morgenluft wittert und den Strafbestand der „Vernachlässigung von Unterhaltspflichten“ für Nachzahlungen streichen will, ist allerdings Grund zur Empörung. Dies zeugt von einer enormen Geringschätzung allein erziehender Eltern und würde bedeuten, dass die unterhaltspflichtigen Personen geradezu ermutigt werden, zu wenig Unterhalt für ein Kind zu zahlen, da sie kaum Konsequenzen zu befürchten hätten. Die Aussage, es gäbe viele Menschen mit unteren und mittleren Einkommen, die sich eine solche Nachzahlung nicht leisten könnten, zeugt ausserdem von einem grossen Unverständnis und völliger Ahnungslosigkeit des Artikels im Strafgesetzbuch. In diesem steht nämlich, dass sich nur strafbar macht, wer seiner Pflicht nicht nachkommt, obschon er die Mittel dazu hat. Dem eifrigen SVP Nationalrat sei daher empfohlen, sich zu informieren, bevor er sich über vermeintlich ungerechte Strafgesetzbuchartikel empört.

Am lächerlichsten ist aber die Empörung darüber, dass Chantal Galladé sich von ihrem Partner vertreten lässt. Wer bitteschön würde sich in einem ähnlichen Fall nicht von seinem Partner vertreten lassen, wenn dieser Anwalt ist? Wer sich allen ernstes darüber empört, dass Partner (oder auch Freunde) sich gegenseitig unterstützen, hat eine sehr seltsame Auffassung von Beziehungen.

Der wahre Skandal an der Geschichte ist, dass es noch immer Mütter (aber auch Väter) gibt, welche die Unterhaltszahlung von vermögenden Vätern (oder Müttern) an ihre Kinder gerichtlich erzwingen müssen. Alle anderen künstlich hochstilisierten Empörungen in dieser Geschichte sind nichts weiter als heuchlerisch und entbehren jeglicher Grundlage!

21 07, 2011

Unnötiger Generationenkonflikt*

2013-10-17T22:43:11+02:0021. Juli 2011|

Über mehrere Monate hinweg zieht sich nun die vermeintliche Schlacht schon hin. In der SP tobt kurz vor den Nationalratswahlen ein heftiger Streit, in dem es um „Nachwuchspolitiker“ gegen „Sesselkleber“ zu gehen scheint. Der vorläufige Höhepunkt ist die Nichtnominierung der langjährigen Nationalrätin und Mietrechtsexpertin Anita Thanei, die viel verbrannte Erde hinterlassen hat. Wofür eigentlich?

Die Fronten scheinen auf den ersten Blick klar: Die Jungen wollen, dass ihnen die Alten im Parlament Platz machen. So einfach ist es aber nicht.

Als 25-jähriger Gemeinderat der Stadt Zürich, der erst seit einem Jahr im Parlament sitzt, würde ich theoretisch zu jenen gehören, die von den „Alten“ Rücktritte forden müsste. Dieses Geheule und die Art wie diese Diskussionen aber geführt werden, gehen mir aber enorm auf die Nerven.

Jung sein ist kein Programm! In einem Parlament braucht es erfahrene, langjährige Politikerinnen und Politiker, die den Politbetrieb kennen und sich mit ihrem über Jahre hinweg angeeigneten Sachwissen, Know-How und Netzwerk engagieren. Gleichzeitig braucht es auch Nachwuchskräfte, die frische Ideen einbringen. Es braucht also eine Mischung aus beiden. Und dafür ist in der SP gesorgt.

Bevor die unnötigen „die Dinosaurier müssen weg“-Forderungen gestellt wurden, war die Durchmischung bei den Wahlen 2011 bereits absehbar. Und mit der Tatsache, dass die beiden langjährigen und verdienten NationalrätInnen Christine Goll und Mario Fehr nicht mehr zu den Wahlen antreten werden, wurden bereits zwei Listenplätze für Nachwuchskandidaturen frei.

Das ganze Theater darum, dass weitere Personen, namentlich Anita Thanei oder Andi Gross, nicht mehr antreten sollen, war also unnötig und roch meiner Ansicht nach lediglich nach Profilierungssucht ungeduldiger Jungpolitiker, die möglichst ins Rampenlicht wollen. Als Jungpolitiker finde ich das falsch, schade und sehr bedauernswert. Es werden unnötigerweise Gräben aufgerissen, Parteikolleginnen und -kollegen brüskiert und Schlammschlachten ausgetragen. Das ist nicht nur schädigend, sondern auch höchst unwürdig jenen Mandatsträgerinnen und Mandatsträger gegenüber, die sich seit Jahren für eine sozialere Schweiz einsetzen. Als Anita Thanei mitteilte, dass sie darauf verzichte, sich erneut vor den Delegierten zu präsentieren, um vielleicht den letzten Listenplatz zu erhalten, quittierte die Juso dies mit dem Kommentar, Anita habe der Partei „den letzten Akt dieses Theaters“ gespart. Was für eine höhnische und für eine Jungpartei, die sich sonst das Wort sozial nicht genug auf die Fahne schreiben kann, peinliche Aussage!

Selbstverständlich gibt es sogenannte „Sesselkleber“, die nicht mehr viel leisten und sich nur an ihrem Amt festklammern. Die gibt es in allen Parteien. Es ist in Ordnung, Nationalrätinnen und Nationalräte zu kritisieren. Es ist ebenso in Ordnung mit ihnen über ihre Zukunft zu diskutieren und ihre Rücktritte zu fordern, wenn man mit ihrer Arbeit unzufrieden ist. Es ist aber höchst scheinheilig und kurzssichtig, dies über ein System zu tun, indem man pauschal sagt, dass Leute ab einem gewissen Alter oder ab einer bestimmten Amtsdauer nicht mehr antreten sollen.

Als Junpolitiker bin ich froh um die erfahrenen Parlamentarierinnen und Parlamentarier meiner Partei, von deren Know-How ich profitieren kann und die sich in unserem langsamen Politbetrieb gelernt haben durchzusetzen. Darum hüte ich mich davor, langjährige Parlamentarier wegjagen zu wollen und sie pauschal als Dinosaurier oder Sesselkleber zu betiteln. Solche Forderungen wirken zwar sehr revolutionär und garantieren Medienpräsenz, geleistet hat man dadurch aber noch absolut gar nichts.

Es wäre wünschenswert, dass dieser überflüssige Generationenkonflikt endlich beigelegt werden könnte und wir wieder als Partei, in welcher es für Jung und Alt, sowie für Nachwuchskräfte und erfahre Parlamentarierinnen und Parlamentarier Platz gibt und wir uns nicht bekämpfen, sondern von einander profitieren können.

Auch in der SP sollte es Platz für alle, statt für wenige haben!

Eine Randbemerkung kann ich mir allerdings nicht verkneifen: 1999 wurde der Genfer Nationalrat Jean Ziegler in Genf nicht mehr nominiert, nachdem dieser 28 Jahre lang (also beinahe länger als Andi Gross und Anita Thanei zusammen) für die SP Genf im Nationalrat gesessen hatte. Daraufhin war es die Juso Zürich, die Jean Ziegler auf Platz 1 ihrer Nationalratsliste setzte -und dies als „Solidaritätskandidatur“ bezeichnete!

*in der PS vom 21. Juli 2011 erschienen

4 07, 2011

Illi’s Irrtum*

2013-10-17T22:44:07+02:004. Juli 2011|

Kürzlich hat Frau Nora Illi, Frauenbeauftragte des Islamischen Zentralrats Schweiz, die im Islam teilweise noch vorhandene Mehrehe in der Zeitung „Sonntag“ mit folgenden Worten begründet: „Die Aufgabe einer Frau ist es, ihren Mann zufriedenzustellen. Wenn im Koran steht, dass ein Mann mit bis zu vier Frauen gleichzeitig verheiratet sein kann, dann ist das so. Es liegt in der Natur des Mannes, dass er sich irgendwann nach einer anderen Frau sehnt. Viele Frauen sind zu egoistisch. Ich habe keinen Besitzanspruch auf meinen Mann.“

Diese Aussage ist grob verzerrter Unfug. Es ist richtig, dass im Islam die Mehrehe prinzipiell erlaubt ist. Sie kam aber nicht deswegen auf, weil die Frau den Mann zufrieden zu stellen hat, sondern entstand im Jahre 625 nach der Schlacht von Uhud, in welcher viele Männer fielen. In dieser Zeit lebten in der islamischen Gemeinschaft daher weniger Männer, dafür mehr Frauen und Waisen. Deswegen erlaubte der Prophet die Mehrehe von bis zu vier Frauen, nicht aber aufgrund des Triebes der Männer, sondern um soziale Missstände zu beseitigen.

Der Krux an der Sache: Der Mann muss alle Frauen gleich zufriedenstellen und jeder die gleiche Aufmerksamkeit widmen. Das bedeutet auch, dass er jeder Frau ein eigenes Haus finanzieren und gleich viel Zeit mit jeder verbringen muss. Er darf keine benachteiligen. Aus diesem Grund erlaubte der Prophet die Mehrehe zwar, riet aber von ihr ab, weil er wusste, dass die Bedingungen praktisch unmöglich waren und der Mann somit seine Pflichten als Ehemann kaum hätte erfüllenn können. Der Prophet verbot seinem Schwiegersohn sogar, mehr als eine Frau zu heiraten und sagte gemäss einer Hadith (also einer überlieferten Nachricht): „wenn jemand zwei Frauen hat und sich nur einer von ich ihnen zuwendet, dann kommt er am Tag der Auferstehung mit einer gelähmten Körperhälfte.“ Die Frauen dürfen also auch in einem konservativen Islam ruhig etwas egoistischer sein. Wenn nicht sich selbst, dann der einen Körperhälfte ihrer Ehemänner zuliebe.

*Artikel im Tages-Anzeiger am 4. Juli 2011 erschienen

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